Der Unheilsbringer
Die Geschichte eines Mörders endet nicht mit seinem Tod, und sie beginnt auch nicht mit seinem ersten Mord. Wann der Mörder Kurt-Werner Wichmann starb, ist genau dokumentiert, es war im Jahr 1993, er befand sich in einer Gefängniszelle, keiner anderen Tat überführt als des illegalen Besitzes von Kriegswaffen. Wann hingegen er zum ersten Mal einen Menschen getötet hat, ist erheblich schwerer zu sagen. Erstmals versucht hat er es wohl an einem dunklen Morgen im Januar 1964.
Bärbel Jaschik, die er als Opfer ausgewählt hatte, sagt heute, sie könne sich noch sehr genau an diesen Moment erinnern. Sie sagt: „Wenn ich daran denke, spüre ich noch immer diese fleischigen Hände an meinem Hals.“ Es waren die Hände eines 14-jährigen Kindes.
Anke Gerkens war damals zwar noch ein Kind, aber sie erinnert sich genau an den Ring, den ihre Mutter Ilse am Gründonnerstag 1968 in der Tasche hatte, sie besitzt ihn noch heute. Es ist ein Korallenring. Die Mutter hat ihn für Anke machen lassen. Die Tochter erwachte an jenem Vormittag und suchte in einem für sie unerklärlichen Anflug von Panik nach ihrer Mutter, bis sie den Zettel fand und sich beruhigte.
Doch sie wunderte sich, als die Mutter mittags noch nicht zurück war. Irgendwann stand ihr Vater, der am Morgen nach Buxtehude gefahren war, um Malergesellen die Meisterprüfung abzunehmen, im Haus. Zwei Polizisten begleiteten ihn, aber es war der Vater, der es den Kindern sagte: Ein Unbekannter hat die Mutter erschossen, als sie mit dem Rad durch den Wald fuhr.
Sie habe es einfach nur registriert, sagt Anke Gerkens. Es zu begreifen dauere lange. Es zu verarbeiten noch länger. Ihr ist es heute wichtig zu betonen, dass es ihr dennoch immer gelungen sei, einen positiven Blick auf das Leben zu bewahren. Dass sie sich selbst nie als Opfer definieren wollte und auch ihre Mutter nicht, denn die sei doch so viel mehr gewesen, lebensfroh, lustig, im Augenblick lebend, optimistisch, ein Vorbild für die Tochter.
Alle Textauszüge stammen von Bernd Volland. Sein Text ist gemeinsam mit meinen Fotos in der Ausgabe des Magazins Stern Crime (Nr. 28) erschienen, das unter diesem Link erworben werden kann.